Mittwoch, 18. Mai 2022

Das Diffuse

Die Menschheit schreitet voran. Unaufhörlich... Ob die Entwicklung dabei stets eine positive ist, sei hintenangestellt... Aber an Energie fehlt es dem Menschen nicht. Das verblüfft. Ist er sich doch als wahrscheinlich einziges Lebewesen auf diesem Planeten seiner eigenen Sterblichkeit bewusst. Insofern müsste er also wissen, daß - nüchtern betrachtet - seine Lebenssituation mit der eines zum Tode verurteilten Häftlings vergleichbar ist, der weiß, daß er sterben wird, aber nicht weiß wann.
 
Der menschliche Wille Neues anzulegen, Angelegtes voranzutreiben, Vorangetriebenes zu verbessern, die Gegenwart zu strukturieren, in die Zukunft zu planen und immer wieder Hoffnungen und Wünsche mit ihr zu verknüpfen, müsste eigentlich verwundern, würde man dieses Verhalten doch gerade von einem solchen Häftling nicht eben erwarten.
 
Was kann der freie Mensch also für sich vollbringen, was dem Verurteilten verwehrt ist, so dass dadurch erklärt wäre, warum die Menschheit stets weiterproduziert, -entwickelt, -erfindet, -kreiert,-expandiert und -aktualisiert,- obwohl sie es ja besser wissen müsste?
 
Geld verdienen? Mal ganz ehrlich: stellen wir uns den armen Häftling in einer Luxusvilla vor, mit allen erdenklichen materiellen Gütern versorgt,- würde es diesem Menschen damit wirklich besser gehen, obwohl auch dort nach wie vor und jederzeit ein hungriger Gevatter Tod hereinspaziert kommen könnte? Aber angenommen es würde stimmen, dass der Mensch das alles nur machen würde um bis an sein Lebensende gut versorgt zu sein, dann würde das dennoch in keinster Weise erklären, warum soviele schon Superreiche immer weiterackern und damit einfach nicht aufhören wollen...
 
Also doch um Unsterblichkeit zu erlangen? So weit ich informiert bin, wurde noch kein Mittel erfunden, das einem dazu verhelfen könnte ewig zu leben, und noch der erfolgreichste, intelligenteste und talentierteste Geist wird früher oder später vergessen sein, falls er denn jemals richtig verstanden wurde.
 
Was ist also der Unterschied? Vielleicht doch eher der konkrete Handlungsspielraum?
 
Die Todeszelle ist ziemlich klein, um nicht zu sagen minimalst. Da ist der Aktionsradius der - noch dazu kugelförmigen - Erde, wenngleich diese im Grunde ebenfalls "begrenzt" ist, doch schon um einiges weitläufiger und attraktiver, um nicht zu sagen: absolut befriedigend! Nur,- wieviele Menschen durchwandern ihre Weiten, erklimmen ihre Höhen, bestaunen ihre Horizonte, atmen grandiose Luft, erforschen tiefe Gewässer, offenbaren sich täglich der Sonne, wärmen ihre Haut im Sand und kühlen sie anschließend in feuchten Schatten? Ist das in-einer-Wohnung-Wohnen, morgens-zur-Arbeit-Fahren, diese-den-ganzen-Tag-Ausüben, abends-Zurückfahren, Feierabends-Ausruhen und dann-wieder-ins-Bett-Gehen, wirklich so großartig anders als der Tagesablauf eines Todeskanditaten?
 
Ist doch seltsam... Da wissen die Tiere nicht, was ihnen blüht, und verstehen es doch viel besser als der Mensch, wirkliche Freude am Leben zu haben, indem sie all die elementaren Dinge tun, die auch uns Menschen zutiefst beglücken würden, und wegen derer wir - wenn wir sie denn unser ganzes Leben frei ausgelebt hätte - zum Schluss zufrieden, gesättigt und erfüllt ins Grab sinken könnten...
 
Das Geheimnis der Tiere: sie tun gleichzeitig Alles und Nichts!
 
Sie haben keine Namen und brauchen auch keine. Sie wollen nicht wer sein, sie sind einfach! ...Immer unter freiem Himmel, mit dem unaufhörlichen Drang sich zu bewegen, lassen sie ansonsten ihren primitivsten Gelüsten freien Lauf... Das ist das einzige was sie wirklich wollen, nicht im Sinne von erreichen wollen, so etwas kennen sie nicht..,- tierische Triebe werden augenblicklich gelebt!!
 
Dieses Leben ist uns Menschen nicht vergönnt. Wir verbringen es in Städten, die komplett asphaltiert sind und davon die meiste Zeit in künstlich beleuchteten Räumen. Wir bewegen uns kaum. Wir können weder soviel Sex haben wie wir wollen, noch wirklich kämpfen wenn wir wollen, noch essen wann immer wir wollen, noch schlafen so oft wir wollen. Wir sind komplett reglementiert! Warum? Wegen unserer Gesetze, Regeln und Strukturen, die geschaffen wurden um ein friedliches und produktives Zusammenleben zu gewährleisten. Und genau diese permanente Reglementierung frustriert den Menschen - ohne, dass er sich dies vielleicht wirklich bewusst macht - so immens und tiefgreifend, dass er seine ursprünglichsten Triebe, die natürlich dennoch irgendwie ausgelebt werden wollen, verschiebt und in gesetzes- und gesellschaftskonformer, "unproblematischer", verzerrter Form "umsetzt". Und so werden wir zu Menschen, die sich auf irgendwas fixieren, all ihre Energie in diese Sache hineinfliessen lassen und ihr unser Leben widmen.
 
Aus der Mehrzahl solcher Menschen wird eine Menschheit, die auf der Basis von Sublimierung voranschreitet. Unaufhörlich... Ob die Entwicklung dabei stets eine positive ist, sei hintenangestellt... Aber an Energie fehlt es dem Menschen nicht. Das verblüfft. Aber wahrscheinlich nur ihn selbst, weil er glaubt, dass diese ein Zeichen seines ungeheuren Potentials und seiner einzigartigen Intelligenz wäre!
 
Aber auch, wenn das Leben, das der Mensch sich damit geschaffen hat, nicht wirklich schön ist, so ist es doch schön genug, um - zumindest zeitweise - von den Gedanken an die eigene Sterblichkeit abzulenken...
 
Und der Kandidat in der Todeszelle kann seine Triebe zwar genausowenig ausleben wie der "freie" Mensch, aber im Gegensatz zu diesem realisiert er wirklich ganz konkret, dass er sterblich ist, weil er - vielleicht schon bald - von Seinesgleichen getötet werden wird.. Und da kann einem die Lust an den eigenen Trieben, in welcher Form auch immer, schonmal vergehen...
 
HvvH`26/12/12

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